FAUST
Johann Wolfgang Goethe
Eine "Stimme von oben" meldet sich nicht. Stattdessen fällt von dort ein riesiges weißes Leichentuch herunter und bedeckt den Großteil der Bühne. Das letzte einer Reihe suggestiver, überraschender Bilder, die Kreutzfeldts textlich gestraffte "Faust I"-Inszenierung so stark, so brillant macht.
Mephisto ist hier ein Ich Fausts (und nicht wie im Original ein Gegenspieler Gottes), (...) der teuflische Pakt ist einer mit sich selbst. Faust, den Stefan Eichberg als grübelnden, durchaus liebesfähigen und reflektierten Mann spielt, muss Mephisto als den zerstörerischen Trieb in sich akzeptieren, allein schon wegen der ungeheuren Dynamik, die er in sein Leben bringt.
Malte Kreutzfeldt hat den Szenen leise melancholische Klänge unterlegt, einige Male etwa Samuel Barbers Streicher-Adagio. Es ist ja eine finstere Geschichte. Leichen pflastern Fausts Weg der egozentrischen Ich-Findung. Auch Gretchens Bruder muss dran glauben. Drei Minuten lässt Mephisto den Geschwistern Zeit, sich zu verabschieden. Ein digitaler Zeitmesser zählt unbarmherzig die Sekunden herunter, dann bricht Mephisto dem Mann das Genick.
In Kreutzfeldts Deutung kann sich Faust nicht herausreden, Spielball himmlisch-höllischer Kräfte zu sein. In ihm selbst vollzieht sich der Widerstreit zwischen produktiven, schöpferischen und unproduktiven, destruktiven Kräften. Oder wie es Erich Fromm ausdrücken würde: zwischen biophilen und nekrophilen Eigenschaften, zwischen Lebensbejahung und Lebensverneinung. Das macht Faust so heutig, das macht ihn modern.
Nachtkritik (Verena Großkreutz) vom 23. November 2019 | ungekürzt ansehen
In Heilbronn wird man in dieser Spielzeit über die eigenwillige Inszenierung dieses Goetheschen Weltgedichts von Regisseur Malte Kreutzfeldt diskutieren. Der Abend begeistert vor allem durch die schauspielerischen Leistungen und seine Optik.
Das Bühnenbild von Kreutzfeldt und Nina Sievers ist eine halbe Erdkugel aus Metall: Symbol für die Universalität des Textes, aber auch ein herrlicher Schauplatz etwa für die Walpurgisnacht-Orgie auf dem Brocken. Die unterirdische Hexenküche fasziniert durch eine ausgeklügelte Lichtdramaturgie, während Gretchens Haus eine schwebende Triangelform bildet – augenfälliger geometrischer Kontrast zur Halbkugel und Hinweis auf Gretchens kleine Welt. Es ist ein Abend der eindrucksvollen Bilder.
Oliver Firit als Mephisto und Stefan Eichberg als Faust sind ein hervorragendes Gespann, das für zwei Seiten einer Medaille steht. Regisseur Malte Kreutzfeldt zeigt Mephisto als einen Teil von Faust. (...)
Nach zweieinhalb Stunden fällt ein weißes Tuch über die Szenerie. Seelenrettung für Gretchen, die im Gegensatz zu Faust alles riskiert und Verantwortung übernommen hat? Langer Applaus für einen diskussionswürdigen, nie langweiligen Abend.
Heilbronner Stimme (Andreas Sommer) vom 25. November 2019 | ungekürzt ansehen
mit Stefan Eichberg (Faust), Oliver Firit (Mephisto), Romy Klötzel (Margarete), Johanna Sembritzki (Marte), Marek Egert (Valentin), Frank Lienert-Mondanelli (Theaterdirektor, Gott), Sven Voss (Hexe), Sabine Unger (Hexe).
Regie, Bühne, Sounddesign Malte Kreutzfeldt | Kostüme Christine Hielscher | Dramaturgie Mirjam Meuser | Photos Candy Weltz