DER AUFHALTSAME AUFSTIEG
DES ARTURO UI
Bertolt Brecht
Den hochaktuellen Brecht-Klassiker bringt Regisseur Malte Kreutzfeldt in Cottbus auf die Bühne und inszeniert das Theaterstück als atmosphärischen Thriller. In einer Zeit zunehmenden Populismus' wirkt das Stück in Cottbus frisch, heutig, ohne sich anzubiedern, spannend.
Und Kreutzfeldt hat sich gehörig was einfallen lassen. Er hat, gemeinsam mit der Dramaturgin Bettina Jantzen, klug gerafft – und er hat einen filmisch anmutenden Inszenierungsstil entwickelt. Das sorgt dafür, dass die Emotionen nicht zu kurz kommen, dass das Lehrstückhafte zugunsten praller Alltagsspiegelung etwas zurücktritt, ohne denunziert zu werden. (...) Zunächst sieht das nach einem Film Noir aus, dann, zum Finale hin, erinnert es eher an surrealistische Dramen eines Luis Buñuel.
Es wird mit vielen Assoziationen gearbeitet, auch in der Musik; beispielsweise kommt der Cavatine der "Norma" aus dem 1. Akt der Oper eine Schlüsselrolle zu – ein Flehen um Frieden. Kurz: die Inszenierung bietet viele Assoziationen – so dass wir als Zuschauer viele Ansätze zum Mitdenken bekommen – zum Nachdenken über unser Hier und Heute. Das ist sehr schlüssig, ungemein sinnlich und packend.
Hier passiert etwas, was sehr selten ist: Die Inszenierung ist klüger als das Stück selbst.
In der Hauptrolle des Gangsters Arturo Ui, der mit Lügen, Verrat und Gewalt die Macht an sich reißt, agiert eine Frau – Sigrun Fischer. Das ergibt Sinn, weil es weg führt vom Blick aufs Historische, auf Hitler, hin zum Allgemeinen, zum Verallgemeinerbaren. Arturo Ui, letztlich geschlechtslos, steht für die Populisten, die Volksverhetzer, an sich. Und Sigrun Fischer spielt schlichtweg grandios. Sie zeigt Ui als wahnsinnigen Egomanen, dem es nur um sich und die eigene Bereicherung geht – der dazu sogar den eigenen Wahn instrumentalisiert und kalkuliert und damit spekuliert. Man bekommt eine Gänsehaut und denkt sofort an Figuren der deutschen und der internationalen Politik.
Brechts "Arturo Ui" endet mit dem Sieg des Guten über das Böse – jedoch auch mit einem warnenden Epilog. Darin fällt der berühmte, zum geflügelten Wort gewordene Satz "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." In Cottbus kommt der Epilog nicht, der Satz fällt nicht. Das unterstreicht noch einmal, wie ernst Regisseur und Bühnenbildner Malte Kreutzfeldt das Publikum nimmt. Er vertraut uns. Großartig! Und er hat ja auch so inszeniert, dass der ganze Abend eine einzige Warnung ist – vor dem Sich-weg-Drehen, dem Nicht-Nachdenken, dem Nachplappern.
Dieser "Ui" ist, weit über die Region hinaus, einer der stärksten Theaterabende seit langer Zeit. Es ist zu hoffen, die Jury des Berliner Theatertreffens schaut in Cottbus vorbei!
Peter Claus, kulturradio RBB Berlin vom 28. Januar 2018 | ungekürzt ansehen und auf RBB Kulturradio hören
Regisseur Malte Kreutzfeldt hat Brechts Lehrstück ganz ohne erhobenen Zeigefinger, dafür aber sehr aktionsreich und mit starken Bildern in Szene gesetzt. Vor allem aber lebt dieser Abend von der Schauspielkunst: Eines großartigen Ensembles, aus dem Sigrun Fischer als Arturo Ui hervorsticht. Ihr Ui ist nicht der eindimensionale, skrupellose Machtmensch. Sie zeigt ebenso seine zweifelnde, schwache Seite. Es gelingt ihr, die Gefährlichkeit dieses Menschen nicht nur aus seiner Stärke, sondern auch aus seiner Schwäche darzustellen. Ein sehenswerter Abend, der vom Publikum bejubelt wurde.
Renate Marschall, Lausitzer Rundschau vom 30. Januar 2018 | ungekürzt ansehen
mit Sigrun Fischer (Arturo Ui), Volker Weidlich (Roma), Kristin Muthwill (Betty), Gunnar Golkowski (Givola), Thomas Harms (Giri), Rolf Gebert (Dogsborough), Axel Strothmann (Caruther), Boris Schwiebert (Butcher), Michael von Bennigsen (Flake), Amadeus Gollner (O'Casey), Lisa Schützenberger (Dockdaisy).
Regie und Bühne Malte Kreutzfeldt
Kostüme Katharina Beth
Dramaturgie Bettina Jantzen
Photos Marlies Kross
Trailer Ron Petrass